Sexualethik der EKD

Die EKD gibt seit 1962 regelmäßig sogenannte Denkschriften zu gesellschaftlichen und sozialethischen Fragen heraus. Sogenannte Fachgremien der EKD erarbeiten diese für den Rat der EKD.1 Im Jahr 1971 hat die EKD eine Denkschrift zu Fragen der Sexualethik herausgegeben. 2 In der Folgezeit hat die EKD aus dieser Denkschrift auch zitiert.3

Die Kirche begründet ihre Standpunkte gerne mit der Bibel. Ein gutes Beispiel dafür ist die Todesstrafe. Früher hat die evangelische Kirche die Todesstrafe befürwortet4, heute lehnt sie diese ab5.

Kann also davon ausgegangen werden, dass die EKD ihre Haltung zu Fragen der Sexualethik ebenfalls revidiert hat? Scheinbar nicht. Seit 1971 ist keine neue Denkschrift zu Fragen der Sexualethik erschienen. 2012 wurde zwar eine Kommission damit beauftragt einen neuen Beitrag zu erarbeiten6, 2015 wollte die EKD davon aber plötzlich nichts mehr wissen und die Autoren veröffentlichten ihr Werk ohne die EKD7 unter dem Namen „Unverschämt – schön: Sexualethik: evangelisch und lebensnah“8.

2015 gab es noch keine Ehe für Alle; in den Gliedkirchen der EKD wurde darüber diskutiert, ob Pfarrpersonen mit gleichgeschlechtlichen Partner im Pfarrhaus wohnen dürften. Oder ob gleichgeschlechtliche Paare gesegnet werden dürfen. Die neue Denkschrift hätte sich nicht mehr gegen Homosexualität positioniert; scheinbar wollten diese Auffassung nicht alle Gliedkirchen mittragen.9

Und so gab es eben keine neue Denkschrift und die alte Denkschrift von 1971 wurde nicht durch eine neue Denkschrift ersetzt und hat sich auch nicht von dieser distanziert. Zwar gibt die EKD auf Nachfrage an, dass die Denkschrift nicht mehr den heutigen Positionen entspräche und auch schon seit Jahren nicht mehr kommuniziert würde; allerdings würde sich die EKD nun wieder mit dem Thema befassen. Im ForuM-Maßnahmenplan wäre die Maßnahme 5 als Reaktion auf die ForuM-Studie auf der EKD-Synode im November 2024 beschlossen worden. 10 Die Maßnahme wäre bewusst offen formuliert worden. Auf die Nachfrage, ob sich auch mit sexualethischen Themen die in der Denkschrift vorkommen und nicht in Maßnahme 5 vorkommen, wollte die EKD auf Nachfrage keine Antwort geben.11

Spätestens seit Veröffentlichung der ForuM-Studie Anfang 2024 ist bekannt, dass die Strukturen der evangelischen Kirche die sexualisierte Gewalt begünstigt haben.12 Um die Strukturen im Gesamtkontext besser zu verstehen ist es daher sinnvoll, sich auch mit den allgemeinen sexualethischen Positionen der evangelischen Kirche zu beschäftigen.

In unserem Podcast gehen wir auf den Inhalt des Buches genauer ein.

Die wichtigsten Inhalte der Denkschrift im Wortlaut

Einleitung

… Vielmehr versucht diese Denkschrift dem im Glauben gebundenen Menschen in seinen Lebensfragen und Lebensnöten im Bereich des geschlechtlichen Lebens zu helfen.13

Kapitel 2: Mann und Frau

14: Der Mensch lebt nur als Mann oder als Frau. … 14

15: … Sexuelle Bedürfnisse sind beim Menschen ständig – bewusst oder unbewußt – vorhanden und können jederzeit geweckt werden. Die Möglichkeit zu sexuellen Handlungen ist beim Menschen zu jeder Zeit gegeben. Die Triebziele sind wandelbar. …15

Kapitel 5: Sexualverhalten in der Jugend

36: … In der Zeit zwischen sexueller und sozialer Reife können Möglichkeiten gefunden werden, im Verzicht auf genitale Befriedigung charakterliche Reife und menschliche Sicherheit zu gewinnen. …16

37: Für den Aufbau einer Ehe ist es notwendig, daß der jungen Mensch einen in der frühen Phase der körperlichen Sexualreife geübte Selbstbefriedigung überwindet. Geschlechtsverkehr als bloßer Ersatz für Selbstbefriedigung ist kein Schritt auf dem Wege zur Reife. …17

38: … Daher wird Geschlechtsverkehr verlobter oder fest befreundeter Paare in einer ganzheitlich-personalen Beziehung, die mit der Absicht auf Dauer verbunden ist, grundsätzlich anders gesehen als das >>Ausprobieren<< mit wechselnden Partnern.18

41: Wenn es zu Geschlechtsverkehr Unverheirateter kommt, besteht ebenso wie in der Ehe die Verantwortung für eine mögliche Elternschaft. Wenn die Bereitschaft zur Übernahme der Verantwortung fehlt, ist die Anwendung empfängnisverhütender Mittel unvermeidbar. Keinesfalls aber sollte im Vertrauen auf die Sicherheit empfängnisverhütender Mittel der Geschlechtsverkehr von der partnerschaftlichen Verantwortung isoliert und mit der dadurch ausgeschalteten Frucht vor Schwangerschaft jeder Geschlechtsverkehr gerechtfertigt werden.19

Kapitel 6: Empfängnisregelung

43: Eheleute sollten bereit sein, Kinder zu haben und Elter zu werden. …20

Kapitel 7: Schwangerschaftsabbruch

50: Nicht vertretbar ist ein Schwangerschaftsabbruch aus rein sozialen Gründen. …21

52: Weil jede Geschlechtsgemeinschaft mit der Verantwortung für werdenden Leben verbunden ist, sollten Mann und Frau auch vorher Fragen der Erbgesundheit unter ärztlicher Beratung prüfen. Wenn mit hoher Wahrscheinlichkeit damit zu rechnen ist, daß ein Kind erbkrank geboren und unheilbare Gesundheitsschäden haben würde, so sollte durch strikte Empfängnisverhütung oder Sterilisierung einen Schwangerschaft verhindert werden.22

Kapitel 8: Sterilisation

57: … Grundsätzlich darf einen Sterilisierung nur freiwillig erfolgen. Beide Ehepartner müssen damit einverstanden sein.23

Kapitel 11: Sexuelle Perversion

63: … Zu den sexuellen Perversionen im engeren Sinne gehören: … Exibitionismus: Sexualbefriedigung nur, wenn die entblößten eigenen Geschlechtsorgane von einem Partner anderen Geschlechts gesehen werden; dabei wird der oft kindliche Partner bedroht (nur bei Männern bekannt). … Transvestitismus: Sexualbefriedigung nur, wenn in Kleidung des Gegengeschlechts aufgetreten werden kann mit dem Ziel, in der gegengeschlechtlichen Rolle geliebt zu werden (bei schweren Formen [Transsexualismus] Wunsch nach Umwandlung in eine Person des anderen Geschlechts). … Bei totalem Verlust der zwischenmenschlichen Partnerbeziehung und rein funktionellen sexuellen Triebentladungen kann ein Ausweichen auf Tiere (Zoophilie) oder Leichen (Nekrophilie) erfolgen. Beziehungsstörungen liegen auch vor, wenn Sexualbefriedigung nur durch Vergewaltigung oder Lustmord oder die Verführung von Kinder unter Anwendung von Gewalt möglich ist. Bei solchen Störungen liegen häufig Schwachsinn und andere hirn-organische Krankheiten zu Grunde.24

64: In Verkündigung und Seelsorge sollte die Kirche wirksamer vertreten, daß es sich bei den Perversionen meistens um Krankheiten handelt, und nicht um willentlichen Missbrauch der Sexualität, selbst wenn die Betroffene Personen einsehen, daß ihre Handlungen den Partner als Objekt mißbrauchen und ihn schädigen. Anstatt sich über derartige Handlungen zu entrüsten, sollte Kirche und Gesellschaft Institute einrichten und fördern, in denen ärztlich betreut und ärztlich behandelt werden kann. Kinder und Jugendliche müssen vor Verführung, Werbung und Propaganda für Perversionen geschützt werden.25

Kapitel 12: Homosexualität

65: Homosexualität unterscheidet sich von heterosexueller Partnerschaft grundsätzlich dadurch, daß sie auf einen gleichgeschlechtlichen Partner zielt. Individuell gestört ist entweder das Verhältnis zur eigenen Geschlechterrolle oder das zu anderen Geschlecht. Sie tritt bei Männern und bei Frauen auf. Die Fähigkeit, sich liebend auf einen Partner zu beziehen, kann voll entwickelt sein. In vielen Formen der Homosexualität wird daher eine personale Beziehung beabsichtig, bisher aber auf die Dauer kaum erreicht.26

67: Die christliche Verkündigung sieht den Sinn der menschlichen Sexualität in der dauerhaften Beziehung eines Mannes und einer Frau. Diese Personalisierung wird bei vielen Formen der Homosexualität verfehlt, so daß keine dauerhafte Partnerbeziehung, sondern häufiger Partnerwechsel entsteht.27

68: Die evangelische Kirche versteht die Homosexualität als Fehlform und lehnt ihre Idealisierung ab. … Kinder und Jugendliche müssen vor Verführung, Werbung und Propaganda für Homosexualität geschützt werden.28

Kapitel 13: Allgemeine Beziehung von Mann und Frau in der Gesellschaft

74: In unserer Gesellschaft sind eine Kindheit ohne Geborgenheit, schwerer Enttäuschung in der ersten sexuellen Kontakten oder finazielle Erwägungen häufig Gründe für die Ausübung von Prostitution und Promiskuität. Die Prostituierten weichen oft der ausschließlichen Lebensgemeinschaft mit einem Partner ebenso aus wie der Möglichkeit, allein zu leben. …29

Kapitel 14: Geschlechtererziehung als Bildungsauftrag in Elternhaus und Öffentlichkeit

91: Sexualerziehung in der Schule sollte so erfolgen, daß in allen Unterrichtsfächern dem Verlangen nach altersspezifischer Information nicht ausgewichen und eine positive Grundhaltung zur Sexualität eingeübt wird, die Verdrängung vermeide, aber Verzicht ermöglicht. Die Einrichtung eines besonderen Schulfachs >>Sexualkunde<< genügt nicht.30

  1. vgl. EKD 2025: Denkschrift. https://www.ekd.de/Denkschrift-11058.htm abgerufen am 07.01.2025 ↩︎
  2. vgl. Kommission der EKD 1971: Denkschrift zu Fragen der Sexualethik. ISBN: 3579045547 ↩︎
  3. vgl. EKD 1988: AIDS – Orientierung und Wege in der Gefahr. https://www.ekd.de/III-Orientierungen-1132.htm ↩︎
  4. vgl. Der Spiegel 2019: Wie sich ein Göttinger Pastor mit der Kirche anlegt. https://www.spiegel.de/kultur/goettingen-wie-sich-ein-pastor-mit-der-evangelischen-kirche-anlegt-a-00000000-0002-0001-0000-000163724143 abgerufen am 07.01.2025 ↩︎
  5. vgl. EKD 2010: Jede Hinrichtung ist eine zu viel. https://www.ekd.de/pm235_2010_Todesstrafe.htm abgerufen am 07.01.2025 ↩︎
  6. vgl. Deutschlandfunk Kultur 2012: Eine neue evangelische Sexualethik. https://www.deutschlandfunkkultur.de/eine-neue-evangelische-sexualethik-100.html abgerufen am 07.01.2025 ↩︎
  7. vgl. Deutschlandfunk 2015: Warum aus einer EKD-Denkschrift keine Denkschrift wurde. https://www.deutschlandfunk.de/evangelische-sexualethik-warum-aus-einer-ekd-denkschrift-100.html abgerufen am 01.07.2025 ↩︎
  8. vgl. Dabrock, Augstein, Helfferich, Schardien, Sielert 2015: Unverschämt – schön: Sexualethik: evangelisch und lebensnah. ISBN: 978-3579082226 ↩︎
  9. vgl. Deutschlandfunk 2015: Warum aus einer EKD-Denkschrift keine Denkschrift wurde. https://www.deutschlandfunk.de/evangelische-sexualethik-warum-aus-einer-ekd-denkschrift-100.html abgerufen am 01.07.2025 ↩︎
  10. vgl. Mail Mailverkehr vom 08.01.2025 mit dem EKD-Infoservice ↩︎
  11. vgl. Mail Mailverkehr vom 10.01.2025 mit dem EKD-Infoservice ↩︎
  12. vgl. ForuM 2024: Zusammenfassung der Ergebnisse, Schlussfolgerungen und Empfehlungen für Prävention, Intervention und Aufarbeitung: S. 1. https://www.forum-studie.de/wp-content/uploads/2024/01/Zusammenfassung_ForuM.pdf abgerufen am 01.07.2025 ↩︎
  13. vgl. Denkschrift zu Fragen der Sexualethik 1971: S. 11 ↩︎
  14. vgl. Denkschrift zu Fragen der Sexualethik 1971: S. 17, 14 ↩︎
  15. vgl. Denkschrift zu Fragen der Sexualethik 1971: S. 18, 15 ↩︎
  16. vgl. Denkschrift zu Fragen der Sexualethik 1971: S. 26, 36 ↩︎
  17. vgl. Denkschrift zu Fragen der Sexualethik 1971: S. 26, 37 ↩︎
  18. vgl. Denkschrift zu Fragen der Sexualethik 1971: S. 27, 38 ↩︎
  19. vgl. Denkschrift zu Fragen der Sexualethik 1971: S. 28 – 29, 41 ↩︎
  20. vgl. Denkschrift zu Fragen der Sexualethik 1971: S. 29, 43 ↩︎
  21. vgl. Denkschrift zu Fragen der Sexualethik 1971: S. 31, 50 ↩︎
  22. vgl. Denkschrift zu Fragen der Sexualethik 1971: S. 32, 52 ↩︎
  23. vgl. Denkschrift zu Fragen der Sexualethik 1971: S. 34, 57 ↩︎
  24. vgl. Denkschrift zu Fragen der Sexualethik 1971: S. 37 – 38, 63 ↩︎
  25. vgl. Denkschrift zu Fragen der Sexualethik 1971: S. 38, 64 ↩︎
  26. vgl. Denkschrift zu Fragen der Sexualethik 1971: S. 38, 65 ↩︎
  27. vgl. Denkschrift zu Fragen der Sexualethik 1971: S. 39, 67 ↩︎
  28. vgl. Denkschrift zu Fragen der Sexualethik 1971: S. 40, 68 ↩︎
  29. vgl. Denkschrift zu Fragen der Sexualethik 1971: S. 42, 74 ↩︎
  30. vgl. Denkschrift zu Fragen der Sexualethik 1971: S. 47, 91 ↩︎

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