Märchenstunde mit der Ratsvorsitzenden der EKD, Bischöfin Kirsten Fehrs

Nach dem Rücktritt von Annette Kurschus Ende 2023 im Rahmen eines Missbrauchsskandals in ihrer Landeskirche (Westfalen-Lippe), hatte die Hamburger Bischöfin das Amt der Ratsvorsitzenden kommissarisch übernommen. Auf der Synode der EKD im November 2024 stellt sich Bischöfin Fehrs zur Wahl, um dauerhaft Ratsvorsitzende der EKD zu bleiben. Dabei wird besonders ihre Arbeit im Bereich sexualisierte Gewalt im evangelischen Bereich beäugt werden, hat sie sich doch in den letzten Jahren zu einer Leitfigur der Aufarbeitung stilisiert.

Die Öffentlichkeit blickt immer kritischer auf das Handeln der evangelischen Kirche in diesem Bereich. Die Glaubwürdigkeit der Kirche ist eng mit diesem Thema verbunden. Um diesmal tatsächlich zur Ratsvorsitzenden gewählt zu werden und nicht, wie im Jahr 2022, noch einmal öffentlich zu verlieren, muss Kirsten Fehrs die Synodalen überzeugen, dass sie die geeignete Frau ist, um diese Kirchenkrise zu bewältigen.

In einem hörenswerten Interview (externer Link) im Deutschlandfunk vom 19.09.2024 bemüht sich Bischöfin Fehrs zu zeigen, dass sie die stürmischen Gewässer der EKD in kritischen Zeiten zu navigieren weiß.

In dem Interview geht es zum allergrößten Teil um die im Januar 2024 erschienene ForuM-Studie, die das erste Mal systematisch die sexualisierte Gewalt in EKD und Diakonie erforscht hat. Besonders in einem Teilprojekt war es zu Spannungen zwischen dem Forschungsteam und den kirchlichen Verantwortlichen gekommen: Während die Forschenden beschrieben, dass die mangelnde Kooperation der Landeskirchen das Projekt gefährdet habe, bestehen Kirchenverantworliche auf der Position, die Kirche habe alle Zusagen bestens erfüllt.

Die Ratsvorsitzende gehört zu diesen Kirchenverantwortlichen. Tatsächlich war die Hamburger Bischöfin von Anfang an der Beauftragung der Studie beteiligt, war im Verbundbeirat der Studie und müsste sich demnach bestens mit dem Forschungsdesign auskennen. Seit der Veröffentlichung der Studie lässt sie allerdings keine Gelegenheit aus, dem Forschungsteam zu widersprechen. Es geht dabei vor allem um das Teilprojekt E – der Teil des Projektes, der sich u.a. mit den Kennzahlen sexualisierter Gewalt befasst und die Frage stellt: Wie viele Fälle gibt es eigentlich, wer sind die Täter und was wusste bzw. weiß die Kirche?

In diesem Interview behauptet Fehrs, zwischen der EKD und den Forschenden der ForuM-Studie sei eine vollständige Durchsicht der Disziplinarakten der Pfarrpersonen und Kirchenbeamt:innen auf Tatbestände sexualisierter Gewalt vereinbart worden – und diese Daten seien von den Landeskirchen vollständig geliefert worden.1 Der Unmut der Forschenden und somit die schlechte Darstellung der Mitarbeit der evangelischen Kirche in den Medien, so legt diese Argumentation nahe, sei somit unbegründet, gar unverständlich.

Wie sah das aber tatsächlich aus? Wie war dieses Teilprojekt geplant?

Die Daten im Teilprojekt E sollten in zwei Teilschritten erhoben werden. Im Teilschritt 1 ging es um die Erhebung von Daten der Landeskirchen: Wie wurde und wird dort das Thema sexualisierte Gewalt behandelt? Es ging z.B. um Aktenführung, Maßnahmen zum Umgang mit sexualisierter Gewalt, den Stand der Prävention (Spoiler: Nicht gut!2). Es ging ebenfalls um einen Blick auf „Menge, Verfügbarkeit und Qualität des potenziell problemrelevanten Datenmaterials in den Landeskirchen“3 – auf gut deutsch also: Was wussten die Landeskirchen und wie haben sie das Wissen dokumentiert?

Bereits in diesem Teilschritt kam es zu erheblichen erheblichen Verzögerungen und Schwierigkeiten bei der vereinbarten Zuarbeit der Landeskirchen. 4 Darüber hinaus teilten die Landeskirchen dem Forschungsverbund plötzlich mit, dass sie über zu wenig Personal verfügten, um eine vorher zugesagte Durchsicht der Personalakten zu ermöglichen. 5 Es war klar: Die Zeit tickte. Die Forschenden mussten sich mit der EKD auf ein neues Vorgehen einigen, um den Abschluss der Studie nicht zu gefährden: eine Disziplinaraktenanalyse der Pfarrpersonen.

Diese Notlösung verkauft Bischöfin Fehrs in ihrem Interview allerdings als ein großes Verdienst der Kirche. Zwar habe es weitere Verzögerungen gegeben, doch haben am Ende schließlich alle Landeskirchen die Disziplinarakten geliefert. Das sei sehr viel Arbeit gewesen, schließlich sei es dafür in fast allen Landeskirchen notwendig gewesen, die Personalakten durchzusehen. Die Tatsache, dass man dann aber keine weiteren Hinweisen aus den Personalakten ausgewertet habe, läge allein an dem Forschungsteam, welches das ja gar nicht verlangt habe oder falls doch, dann sei das schlecht kommuniziert worden.6

Halten wir fest: Erst behaupten die Landeskirchen, sie haben keine Resourcen für die Personalaktensicht. Dann aber hat man doch alle gesichtet. Natürlich hätte man sie dabei gleich auswerten können – wenn man nur gewusst hätte, dass das Forschungsteam diese Daten gerne gehabt hätte. Die vorher genannten mangelnden personellen Resourcen, die einer Personalaktenanalyse entgegenstanden, scheinen also auf wundersame Weise nicht mehr relevant gewesen zu sein.

Umso interessanter: Es gibt ja eine Gliedkirche, bei der exemplarisch eine komplette Durchsicht aller Personalakten der Pfarrpersonen durchgeführt wurde.7 Die Ergebnisse dieser Analyse flossen dann in die ForuM-Studie. Laut Frau Fehrs hatte diese Landeskirche dann wohl als einzige keine Verständigungsschwierigkeiten mit dem Forschungsteam?

Die unterschiedliche Aktenführung der Gliedkirchen sei ein weiterer Grund, warum diese die Daten aus den Personalakten der Kirchenmitarbeitenden nicht weitergegeben wurden.8 Hier muss scheinbar ein Phänomen aufgetreten sein, dass nicht nur Kirchen sondern auch Unternehmen, Organisationen und sogar Privatpersonen treffen kann. Um es lapidar zu sagen: Wer seinen Kram nicht ordentlich abheftet, findet auch nichts wieder.

Frau Fehrs gibt sich ungeachtet aller Tatsachen sicher, dass man alles geliefert habe, was man liefern sollte.9 Welche Motivation die Forschenden haben sollten, dann das Gegenteil zu behaupten, bleibt offen.

Auch wenn hier vieles unklar bleibt, ist eines ganz offensichtlich: Die kommisarische Ratsvorsitzende Fehrs war von Anfang an verantwortlich in die ForuM-Studie eingebunden. Umso interessanter, dass sie seit der Veröffentlichung der ForuM-Studie im Januar 2024 vehement den Forschenden widerspricht.

Zum Schluss des Interviews überrascht die kommisarische Ratsvorsitzende mit einem echten Klassiker der kirchlichen Desinformation: Die Angebote der Diakonie, z.B. Kitas oder Pflegeheime, seien zum allergrößten Teil über die Kirchensteuer finanziert. Das, so Fehrs, machen sich die meisten Menschen nicht klar. 10

Die EKD selbst kommuniziert in diesem Punkt deutlich klarer: So gibt die EKD in eigenen Aussagen an, dass kirchliche Kitas bzw. von der Diakonie getragene Kitas nur zu einem Anteil von 10 % aus Eigenmitteln der Kirche bezahlt werden; 90 % hingegen würde durch die Elternbeiträge und öffentliche Mittel getragen.11 Nicht kirchliche Quellen gehen davon aus, dass die Kirche die Arbeit der Diakonie mit nur 1,8 % der Gesamtkosten aus Eigenmitteln bezuschusst.12

Weiß die Ratsvorsitzende der EKD wirklich nicht, wie die Angebote der Diakonie finanziert werden, die doch einen so wichtigen Teil dieser Kirche ausmacht?

Zum Thema Kirchenfinanzen empfehlen wir auch die aktuelle Folge vom Ketzerpodcast (externer Link).

  1. ab Minute 4:20 ↩︎
  2. vgl. Zusammenfassung der Ergebnisse, Schlussfolgerungen und Empfehlungen für Prävention, Intervention und Aufarbeitung, (externer Link) ForuM, S. 17-18 ↩︎
  3. vgl. Zusammenfassung der Ergebnisse, Schlussfolgerungen und Empfehlungen für Prävention, Intervention und Aufarbeitung, (externer Link) ForuM, S. 585 ↩︎
  4. vgl. Chronologie des Verlaufs des Teilprojekt E der Aufarbeitungsstudie „ForuM“ (externer Link), EKD ↩︎
  5. vgl. Zusammenfassung der Ergebnisse, Schlussfolgerungen und Empfehlungen für Prävention, Intervention und Aufarbeitung (externer Link), ForuM, S. 18 ↩︎
  6. Ab Minute 4:40 ↩︎
  7. vgl. Zusammenfassung der Ergebnisse, Schlussfolgerungen und Empfehlungen für Prävention, Intervention und Aufarbeitung, (externer Link), ForuM ↩︎
  8. Ab Minute 5:50 ↩︎
  9. Ab Minute 8:20 ↩︎
  10. Ab Minute 18:25 ↩︎
  11. vgl. Wie werden evangelische Kindertagesstätten finanziert? (externer Link), EKD ↩︎
  12. vgl. Jede Menge Geld und eine hartnäckige Legende (externer Link), Deutschlandfunk Kultur 13.04.2022 ↩︎

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