Sexueller Missbrauch, sexuelle Gewalt, sexualisierte Gewalt – was ist der Unterschied und welche Begriffe verwenden wir?

Häufig wird sehr kontrovers darüber diskutiert, welche Begriffe man verwenden sollte: „Sexueller Missbrauch“, „sexuelle Gewalt“ oder „sexualisierte Gewalt“?

Letztendlich sollen diese Begriffe das Gleiche ausdrücken: Sie beschreiben Handlungen gegen die sexuelle Selbstbestimmung und gegen die persönliche Autonomie von Kindern, Jugendlichen, Schutzbefohlenen, hilfebedürftigen Menschen, Personen in Abhängigkeit.

Der Begriff „sexueller Missbrauch“ ersetzte in den 1980er/1990er Jahren verstärkt noch ältere Begriffe wie „Unzucht“ oder „unsittliches Verhalten“.

Einige Betroffene lehnen den Begriff „sexueller Missbrauch“ allerdings vehement ab. Es gibt oft die Aussage, das heiße dann ja auch, dass es einen „sexuellen Gebrauch“ gäbe. Wir kennen diese Position und können es verstehen, wenn Betroffene und andere deswegen darauf verzichten.

Wir stellen allerdings die Annahme in Frage, dass die meisten Menschen dann wirklich denken, es gäbe deswegen einen sexuellen „Gebrauch“ z.B. von Kindern.

Aus unserer Perspektive hat der Begriff auch einige Vorteile:

  • Der Bekanntheitsgrad: Viele Menschen wissen, was damit gemeint ist.
  • Er kommt im Gesetzesbuch vor, d.h. man kann ihn gut verwenden, wenn man sich auf die Gesetzeslage bezieht.
  • Er betont, dass bei den betreffenden Handlungen immer eine Form der Manipulation im Spiel ist: Machtmissbrauch, Vertrauensmissbrauch etc.

Die Begriffe „sexuelle Gewalt“ und „sexualisierte Gewalt“ sollen auf auf die Kritik am Begriff „sexueller Missbrauch“ eingehen. Hier wird vor allem eines betont: Es handelt sich um Gewalt! Sexuelle oder sexualisierte Gewalt ist Gewalt gegen Kinder, Jugendliche, Schutzbefohlene!

Dem stimmen wir zu. Hinter Handlungen gegen die sexuelle Selbstbestimmung und die persönliche Autonomie steht ein Gewaltsystem, in dem eine oder mehrere Personen Macht und Kontrolle ausüben.

Dabei betont der Begriff „sexuelle Gewalt“, dass diese Gewalt sexuelle Handlungen nutzt bzw. auch der sexuellen Befriedigung des Täters/des*r Täter:in dient.

„Sexualisierte Gewalt“ legt das Gewicht darauf, dass es weniger oder gar nicht um das Sexuelle geht, sondern um die Ausübung von Gewalt, Macht und Kontrolle.

„Sexualisierte Gewalt“ ist der Begriff, der zum aktuellen Zeitpunkt auch in der wissenschaftlichen Diskussion bzw. in Fachdiskursen verwendet wird.

Kritik an diesem Begriff gibt es aber auch:

  • Man kann argumentieren, dass es sehr wohl um Sexualität geht und dass die Folgen der Gewalt sich oft auch auf die Sexualität der Betroffenen auswirkt.
  • Früher wurde der Begriff vor allem für Kriegshandlungen verwendet; eventuell verliert man dadurch auch eine gewissen Klarheit.
  • Der Begriff der „Gewalt“ kann auch problematisch sein. Denn wenn man von sexueller oder sexualisierter Gewalt spricht, meint man viele verschiedene Formen von Gewalt, nicht nur ganz direkte (wie sie z.B. in einer Vergewaltigung durch eine fremde Person geschieht).

Täter gehen oft sehr planvoll vor – das ist aber nicht immer direkt als „Gewalt“ zu erkennen. Sie verwickeln und verstricken die Betroffenen. Diese glauben oft, sie hätten die Handlungen selber provoziert oder sie hätten lauter oder klarer oder überhaupt einmal „nein“ sagen sollen. Es ist wichtig zu sagen, dass das natürlich nicht stimmt: Die Täter sind immer verantwortlich für die hanan den Handlungen! Kein Kind und kein:e Jugendliche:r muss „nein“ sagen! Oft sorgen die Täter dafür, dass die Betroffenen gar nicht „nein“ sagen können.

Es ist die Aufgabe der Erwachsenen, die sexuelle Selbstbestimmung von Kindern, Jugendlichen und Schutzbefohlenen zu respektieren und sie vor Übergriffen u.a. zu schützen.

Jedenfalls kann es schwer sein, sich für einen Begriff zu entscheiden. Wir verwenden deshalb oft alle drei Begriffe.

Wir finden: Das Wichtigste ist, überhaupt über dieses Thema zu reden! Denn nur wenn wir darüber reden, können wir etwas ändern.

Übrigens: Manche Personen sprechen auch von der Vergewaltigung von Kindern. Damit meinen sie häufig den sexuellen Missbrauch von Kindern (und Jugendlichen) bzw. sexualisierte Gewalt gegen sie.

Vergewaltigung ist im Strafgesetzbuch klar definiert, es geht dort um bestimmte Handlungen gegen die sexuelle Selbstbestimmung (die Eindringen in den Körper umfassen). Diese sind nicht immer automatisch gemeint. Viele Menschen, die den Begriff Vergewaltigung benutzen, wollen damit ausdrücken, dass es sich um ein brutales und massives Unrecht handelt, dass die Betroffenen schwer verletzt, sowohl körperlich als auch emotional/psychisch/sozial.

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