Betroffene der evangelischen Kirche auf sich selbst gestellt

Die Vorstellung der ForuM-Studie im Januar 2024 hat gezeigt, was Betroffene in der Evangelischen Kirche und in der Diakonie schon lange gesagt haben: Sexualisierte Gewalt ist ein umfassendes, schweres und häufiges Problem im evangelischen Bereich.

Zwar hatten sich die evangelischen Landeskirchen nicht an die Absprachen mit dem Forschungsverbund gehalten.1 Die Forschenden konnten deswegen nur auf eine eingeschränkte Menge an Daten zurückgreifen und nur die „Spitze der Spitze des Eisberges“ errechnen: Dies sind 2225 bekannte Fälle im der evangelischen Kirche bekannten Hellfeld – bzw. aufgrund der ungenügenden Zuarbeit auch nur ein Bruchteil dessen.

Auch der Rest der ForuM-Studie belegt, wie groß das Problem der sexualisierten Gewalt in der evangelischen Kirche und Diakonie ist: Unzureichende bzw. geradezu widerwillige Aufarbeitung, unklare Wege für Betroffene, Diskreditierung von Betroffenen, Druck auf die Betroffenen zu vergeben. Dazu kommt eine völlig unzureichende Problemsicht durch ein Selbstbild der „besseren Kirche“ verbunden mit dem allzu häufigen Fingerzeig auf die katholische Kirche.

So desolat ist die Lage für evangelische Betroffene. Das von der Kirche vielfach gelobte „Beteiligungsforum“ hat bis dato noch keine einzige Verbesserung für Betroffene geschaffen: Obwohl es seit 2,5 Jahren laut Aussagen der Kirche intensiv und engagiert daran arbeitet, gibt es bislang nichts als Verlautbarungen bzw. Vertröstungen. Im Januar 2024 wurde die Einrichtung der schon in den Jahren vorher immer wieder versprochenen Plattform zur Vernetzung Betroffener „im Frühjahr“ angekündigt. Stand Herbst 2024: Es gibt kein Netzwerk.

Das evangelische Verständnis von Betroffenenbeteiligung ist eines des „Zuhörens“, so belegt es die Meta-Studie des Forschungsverbundes. Kirchenferne bzw. kritische Betroffene werden abgewertet und als störend erlebt.2 Was das konkret bedeutet, um welchen Höhen von Zahlungen es geht, wann und wie Betroffene dazu Zugang erhalten – keine Information. So bleibt es also bei Versprechungen, wie schon seit vielen Jahren.

Das verwundert nicht. Zwar soll laut der EKD das Beteiligungsforum alle Probleme lösen. Doch arbeiten dort ausschließlich von der Kirche ausgewählte, nicht durch andere Prozesse mandatierte Betroffene, die zum allergrößten Teil selbst Mitarbeitende der Kirche sind bzw. persönlich mit ihr eng verbunden. Es ist also schwierig, hier kritische Positionen sichtbar zu machen und einzufordern.

Ein großes Problem für evangelische Betroffene, die nicht zu den wenigen ausgewählten im Beteiligungsforum gehören, ist die Abwesenheit von Strukturen, die eine unabhängige Betroffenenarbeit ermöglichen. Während die katholischen Betrofffenen absolut berechtigterweise Förderung erhalten, die ihnen verschiedene Angebote und Vernetzungsformen ermöglicht, müssen wir uns ohne finanzielle und strukturelle Förderung selbst organisieren.

Katholische Betroffene können jetzt glücklicherweise wieder z.B. eine Beratung für andere Betroffene anbieten3. Diese wird über die Initiative des Eckigen Tisches e.V. ermöglicht, der wiederum mit Bundesgeldern gefördert wird4.

Es ist nur richtig, dass es diese Förderung gibt.

Es ist aber absolut unverständlich, warum es für die evangelischen Betroffenen nicht eine ähnliche Unterstützung gibt. Am Unwissen über das Ausmaß von sexualisierter Bereich im evangelischen Kontext kann es spätestens seit Veröffentlichung der ForuM-Studie nicht mehr liegen.

  1. vgl. Zusammenfassung der Ergebnisse des Forschungsverbundes ForuM (externer Link), ForuM: S. 18-19 ↩︎
  2. vgl. ForuM-Bulletin #5 (externer Link) EKD ↩︎
  3. vgl. Für Betroffene von sexuellem Missbrauch (externer Link), 24.09.2024 domradio.de ↩︎
  4. vgl. Bund fördert Selbstorganisation von Betroffenen sexueller Gewalt im Kontext der Kirchen: 400.000 Euro Zuschuss für Eckiger Tisch e.V. (externer Link)., Lars Castellucci ↩︎

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