Statement von Katharina Kracht am 25. Januar 2024 auf der Pressekonferenz zur Veröffentlichung derForuM-Studie

Mein Name ist Katharina Kracht. Ich bin Betroffene von sexualisierter Gewalt durch einen Gemeindepastor der Hannoverschen Landeskirche. Seit mittlerweile über acht Jahren kenne ich die Landeskirche und ihren Umgang mit Betroffenen und ich habe auch lange versucht, mich auf Ebene der EKD zu engagieren. 


Ich war Mitglied im Verbundbeirat. Drei Jahre lang konnte ich so beobachten, mit welchem Engagement die Forschenden bei der Arbeit waren. Dafür gilt den Forschenden mein aufrichtiger Dank. Betroffene wurden von Anfang an in die Studie einbezogen. Das ist notwendig und ein Qualitätskriterium, aber leider alles andere als selbstverständlich, darum auch hier noch einmal Danke. 

Ich werde mich heute vor allem zu vier Punkten äußern: 

1. Zur Rolle der Zahlen und zur Rolle der Betroffenen. 

2. Was es für Betroffene bedeutet, in einem Verfahren mit den Landeskirchen zu sein. 

3. Der Unterschied zwischen Aufdeckung und Aufarbeitung.

4.  Was Betroffene von der Kirche und von der Gesellschaft brauchen. 

1. Kommen wir zu den Zahlen und zu den Betroffenen. 

Heute werden Zahlen publiziert. 

Ich bitte alle hier Anwesenden: Die Zahlen sind zweifellos wichtig. Ich bin überzeugt: das Narrativ, in der evangelischen Kirche gäbe es weniger sexualisierte Gewalt als in der katholischen Kirche, wird sich nicht mehr halten lassen.  

Es ist gleichzeitig wichtig, hinter die Zahlen zu gucken, auf die vielen betroffenen Menschen, die ihre Perspektiven den Forschenden mitgeteilt haben. 

Denn die Forum-Studie ist keine rein quantitative Studie. Große Teile sind qualitative Interviews. Darum gilt mein Dank gilt auch den über 100 Betroffenen, die an der Studie teilgenommen haben, ob als Co-Forschende oder als Interviewpartner*innen. Sie haben die Studie erst möglich gemacht und somit endlich eine tragfähige Grundlage gelegt, auf der sichtbar wird, was Betroffene in der Vergangenheit erlebt haben, wie damals reagiert wurde und wie in den evangelischen Kirchen und in der Diakonie mit den Betroffenen bis heute umgegangen wird. 

Das wäre ohne den Mut, die Stärke, den analytischen Scharfsinn  und die Resilienz dieser über 100 Menschen nicht möglich gewesen. 

Es muss in den letzten Tagen schon durchgedrungen sein, dass es Probleme mit den Landeskirchen einem Teil der Studie gab. Was ich jetzt sage, ist besonders wichtig:  Wer jetzt sagt, die Studie sei nichts wert, weil es Schwierigkeiten bei der Zulieferung der Landeskirchen gab, tut etwas, das wir Betroffenen sowieso schon immer und immer erlebt haben: Er oder sie übergeht unsere Stimmen. Er oder sie tut wieder einmal so, als ob das, was wir zu sagen haben, irrelevant ist. Als ob die Zahlen und Daten der Kirche wichtiger sind, als das, was wir erlebt haben. 

Dann werden wir wieder unsichtbar gemacht, unsere Stimmen verhallen. 

Lassen Sie das nicht zu. Hören Sie auf die Betroffenen. Achten Sie auf das, was wir gesagt haben und sagen, immer und immer wieder. 

2. Was bedeutet es für Betroffene, in Verfahren in den Landeskirchen zu sein? 

Die Kirche verlautet, „Betroffene stehen bei uns im Mittelpunkt“. Das  sind wunderbare schöne Worte. Ich bin in meiner Landeskirche und darüber hinaus mit vielen Betroffenen vernetzt und ich höre leider immer wieder, dass es bei diesen schönen Worten bleibt. Dass die Erfahrungen der Betroffenen vor Ort ganz anders sind. Ich bin zuversichtlich, dass wir dazu auch Ergebnisse in der Studie finden werden. Dass klar wird, dass der Mangel an Kompentenz in der Aufdeckung und Aufarbeitung in den Landeskirchen genauso wenig ein Einzelfall ist wie es die sexualisierte Gewalt war. 

3. Aufdeckung und Aufarbeitung

Wir dürfen nicht mehr immer sofort von Aufarbeitung sprechen. Denn „Aufarbeitung“ – das ist wirklich die Spitze, die Kür, das Besondere. Es fehlt aber in den Landeskirchen an Kompetenzen und vermutlich auch an Interesse – Fälle wirklich aufzudecken.  Täter in Institutionen sind – nicht immer, aber sehr häufig – Serientäter. 

Die evangelische Kirche könnte das schon längst wissen. Sie hätte schon längst Handreichungen zur Aufdeckung von Fällen erstellen können, die den Landeskirchen klare Richtlinien geben, was zu tun ist, wenn auch nur eine betroffene Person sich meldet, wenn auch nur eine Tat bekannt wird. 


In meinem Fall musste ich Jahre warten, selber Kirchengemeinden anschreiben, Nachforschungen anstellen, den Fall bei der Unabhängigen Aufarbeitungskommission in Berlin publik machen. Erst dann war die Landeskirche bereit, weitere Betroffene zu suchen. Wir wissen da übrigens mittlerweile von 12 oder mehr. 

Wichtig: Wenn solche Nachforschungen nicht unternommen werden, dann bleiben Täter unentdeckt. Sie können weiter Kinder und Jugendliche missbrauchen. Auch Vertuschungsmechanismen bleiben unklar. 

4.  Was brauchen Betroffene jetzt und wer soll was leisten?

Betroffene brauchen das Recht auf Aufarbeitung. Die Kirche muss das im Kirchenrecht festschreiben. Es kann nicht angehen, dass es immer Betroffene sind, die die Aufarbeitung überhaupt erst anstoßen und dass ihnen dann immer wieder Steine in den Weg gelegt werden, dass sie ausgegrenzt werden, wenn sie unbequem werden. Ich werde immer wieder von Journalist*innen gefragt, woran das liegt. Ob es Unwillen oder mangelnde Kompetenz sei.

Tatsächlich weiß ich das nicht. Ich weiß aber, dass es so ist, und ich vermute stark, dass die Studie hier auch viele Problemfelder aufzeigt. 

Wir brauchen hier eine Verantwortungsübernahme des Staates, denn es zeigt sich immer wieder: Die Kirche ist für die Betroffenen hier kein Gegenüber. Es braucht externe Fachleute, auch von staatlichen Stellen. Es braucht externe Beschwerdestellen und auch eine extern organisierte Betroffenenpartizipation. Nur so können auch die kirchenfernen Betroffenen unterstützt werden, die mit dem Repertoire, das ihnen die Kirche anbietet, einfach nicht gut versorgt werden. 

Ich befürchte, dass die Studie zeigen wird, dass die EKD eigentlich ein zahnloser Tiger ist. Denn mit ihr haben Betroffene nichts zu tun. Sie haben mit ihren Landeskirchen und mit der Diakonie vor Ort zu tun, und da funktioniert vieles einfach nicht. Das zeigt sich zum Beispiel an den niedrigen Anerkennungszahlungen, an den unerklärbaren Unterschieden zwischen Landeskirchen, aber auch innerhalb einzelner Landeskirchen. 

Das Beteiligungforum, auf das die Kirche in den nächsten Tagen sicher oft verweisen wird, sorgt sicher für Kompetenzaufbau auf EKD-Ebene. Aber ich wiederhole: Die Betroffenen sind vor Ort, nicht bei der EKD. Einseitiger Kompetenzaufbau und Entwicklung von Haltung auf EKD-Ebene hilft nicht, wenn es keine Verbindlichkeit und Verlässlichkeit in der Fläche gibt. Wir sehen ja am Fall Kurschuss, dass es vor Ort gerade NICHT funktioniert. 

Betroffene brauchen jetzt ein deutliches Zeichen, dass die Gesellschaft und der Staat endlich hinschauen. Die Energie, die einzelne Betroffene aufbringen, um für so etwas wie „ein bisschen Gerechtigkeit“ zu kämpfen, ist immens und deswegen braucht es eine Unterstützung des Staates an dieser Stelle. 


Und noch etwas: 

So spät die Forum-Studie auch kommt: Sie ist wichtig für Betroffene, weil wir einbezogen wurden, weil unsere Perspektive zum Tragen kommt. Und deswegen kann sie auch nur ein Anfang sein. Wenn die EKD sich jetzt wieder in die Hinterzimmer zurückziehen will bis zur Synode, ist das eine derbe Enttäuschung für die vielen Betroffenen.
Bitte gucken Sie alle hin und lassen Sie es nicht zu, dass die EKD hier weiter noch mehr Zeit vertrödelt. Es ist genug. Es ist schon lange genug. 

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